Lisa Petersen

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Wie wertvoll eine Sammlung ist, hĂ€ngt von ihren Objekten ab. So galt es schon im Mittelalter als besonders erstrebenswert und hoch angesehen, eines der seltenen Einhornhörner sein Eigentum nennen zu können. Ein Exponat, welches von einem so großen Mythos umgeben war, dass selbst naturwissenschaftliche Erkenntnisse zunĂ€chst nicht dessen AuthentizitĂ€t anzweifeln ließen.

Es hieß, dass das Horn eine heilkrĂ€ftigende Wirkung habe. Grund genug aus diesem Becher, hoheitliche SchmuckstĂŒcke oder Medikamente herzustellen. Die wilde und scheue Art des selten vorkommenden Tieres machte die Beschaffung des Horns besonders schwierig und den Besitz umso wertvoller. Im Physiologus, einem anonymen Text der SpĂ€tantike, wurde das Bild geprĂ€gt, dass nur eine Jungfrau das eigensinnige Tier zĂ€hmen könne. Eine Szene, die lange in Illustrationen aufgegriffen wurde.

Die Illustratoren stellten die Existenz des Einhorns in keiner Weise in Frage, sondern festigten mit ihrer Kunst den Glauben an das Fabelwesen in der Gesellschaft. Verschiedene Reiseberichte aus fernen LĂ€ndern sorgten dafĂŒr, dass das Einhorn wiederholt bildlich dargestellt wurde. Letztlich nahmen sogar Verfasser naturkundlicher Werke das Einhorn in ihre Titel auf. Nicht einmal die Wissenschaft zweifelte den Ursprung des Horns mehr an.

Der naturwissenschaftliche Fortschritt fĂŒhrte aber auch zu neuen Kenntnissen ĂŒber andere Lebewesen wie zum Beispiel den Narwal, der als gehörnter Fisch bekannt wurde. Ein spiralförmiges Horn zierte seinen Kopf. Eine Verbindung zwischen diesem und der in den Sammlungen vorhandenen Hörnern des Einhorns wurde dabei ĂŒbersehen. Beide Tiere erhielten ihre absolute Berechtigung in zoologischen Publikationen und wurden sogar in gemeinsamen Kategorien erwĂ€hnt.

Als schließlich der Grönlandexperte Ole Wurm einen Narwalzahn mitbrachte und somit ein direkter Vergleich mit den vermeintlichen Einhörnern stattfinden konnte, wurde zum ersten Mal die Existenz des Tieres widerlegt. Eine Erkenntnis, welche aber keinesfalls sofortige öffentliche Zustimmung fand. Man wollte den Mythos um das wundersame Tier nicht einfach aufgeben. Auch ein spĂ€terer Knochenfund bei Quedlinburg wurde als Beweis eines einst real existierenden, aber schon ausgestorbenen Wesens gedeutet, dem Einhorn. Unter Sammlern waren die Fossilien direkt begehrt. Im Jahr 1758 veröffentlichte Carl von LinnĂ© die erste wissenschaftliche Beschreibung des Narwals. Der Bericht klĂ€rte die wahre Herkunft des Einhorns und rĂ€umte mit den Mythen auf. Dem Horn wurde seine heilkrĂ€ftigende Wirkung abgesprochen und das Exponat als Sammlerobjekt verlor an Wert und Einzigartigkeit. Man kann vermuten, dass gerade deswegen so lange an dem Mythos um die Existenz des Einhorns festgehalten wurde, schließlich war der Wert der eigenen Sammlung in Gefahr.

Dennoch ist der Wunsch nach dem Glauben an das Einhorn, auch nachdem die Wahrheit ans Licht kam, nicht ganz verschwunden. Es erlebt eine Wiedergeburt im modernen Zeitgeist. In jedem Spielzeugladen gehört es zum festen Bestandteil des Sortiments, aus MĂ€rchen und Fantasygeschichten ist es nicht wegzudenken. In Filmen und Comics wird es zur Hauptfigur oder flimmert uns auf den Bildschirmen entgegen – singend, glitzernd und auf einem bunten Regenbogen galoppierend.

 

Helas, Philine: Der „See-Einhorn-Fisch“. Ein Tier zwischen Legende und Naturwissenschaft, in: Assoziationsraum Wunderkammer, Halle 2015

 

Dieser Text erschien zuerst in: Berkenbusch, Anna/Fricke, Sarah/Petersen, Lisa/Sievertsen, Lea (Hrsg.): Mitteilungen aus dem Zettelwerk, Halle (Saale) 2015, S.44-45.