Den Alltag festhalten
Das Leben wird begleitet von visuellen Artefakten. Für die Organisation des Alltags benutzen wir Rechnungen, Ausweise und Eintrittskarten, Gebrauchsanweisungen und Kassenbons oft eher unbewusst und nebenbei. Belege werden für die Steuer gesammelt, Quittungen heben wir für den Umtausch auf und mit dem Reinigungszettel holen wir den Mantel ab. Die Tagebücher meist älterer Menschen sind bisweilen gespickt mit Zeitungsausschnitten, Hochzeitseinladungen und Todesanzeigen. Sie dienen als Erinnerungshilfen und belegen, dass irgendetwas genau so, an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit stattgefunden hat: die Hochzeit der Enkelin (Einladung), die Beerdigung des Nachbarn (Traueranzeige), der sechzigste Geburtstag von Tante Gerda (die Speisenfolge oder das Gedicht, das vorgetragen wurde), die Silberhochzeit (die Glückwunschkarten, die Rechnung der Gaststätte), die Gasexplosion in der Innenstadt (Zeitungsartikel) und so fort. Ausweise und Formulare definieren die Zugehörigkeit zu sozialen Gruppen wie zum Sportverein oder zu den Pfadfindern. Sie erzählen etwas über die Sprache einer bestimmten Zeit und über den alltäglichen Umgang mit Machtverhältnissen, Geschlechterrollen, Moden und gesellschaftlichen Konventionen. Solche Zeitzeugen in Nachlässen, Fotoalben und Tagebüchern scheinen wichtig zu sein, um den Alltag glaubhaft zu beschreiben, persönliche Erfahrungen aus dem Privaten herauszuholen und damit ein Stück Geschichte festzuhalten. Erinnerungen sind Teil der Gegenwart, und je älter ein Mensch wird, […]